„Das Knie in unserem Nacken“ Al Sharpton‘s grossartige Rede bei George Floyds Beerdigung

 

Am 4. Juni 2020 fand ein Gedenkgottesdienst für George Floyd statt, der von einem Polizisten aus Minneapolis getötet wurde. Bei der Beerdigung sprachen, neben anderen, Reverend Al Sharpton. Dies ist rhetorisch gesehen, einer der besten Reden, die ich seit Jahren gehört habe. Und ich habe viele gehört.

 

Ich kannte Al Sharpton nicht, aber als ich zufällig beim Zappen in der Live Übertragung der Beerdigung von George Floyd  landete, war ich sofort bis zum Schluss gebannt.

Ich habe die Rede analysiert und natürlich benutzt Al Sharpton in einer fein eingestellten Form altbekannte  Rhetorik-Tricks, die er aber mit seiner über 50 jährigen Erfahrung als Prediger feinpoliert hat.  Man merkt die fast unendliche Routine die dieser Mann hat,  obwohl natürlich herauszuspüren ist, dass seine Worte beileibe nicht zufällig entstanden, sondern dass dort  - wie immer - eine lange Vorbereitung dahintersteckt. Aber was ihn zum Profi macht, ist die lockere Art, wie er das seinem Publikum rüberbringt. Als ob es ihm erst grade am Rednerpult eingefallen wäre.

Es ist einfach ein Wohlgenuss ihm zuzuhören.

 

Schon der Anfang gibt es einen Hinhörer: "Ich möchte nicht, dass wir hier sitzen und so tun, als hätten wir eine Beerdigung geplant. George Floyd sollte nicht unter den Verstorbenen sein. Er starb nicht an einer Krankheit, er starb an einer allgemeinen Fehlfunktion der amerikanischen Strafjustiz."

 

Was Referend Sharpton  meisterhaft beherrscht, ist die Umschreibung von Dingen mit Analogien, die Tatsachen überraschend in einen anderen sprachlichen Zusammenhang setzen und mit einer Wortschöpfung einen Missstand anprangern: "Er starb nicht an einer Krankheit, er starb an einer allgemeinen Fehlfunktion der amerikanischen Strafjustiz."

 

An einer anderen Stelle benutzte er dieselbe Vorgehensweise des kreativen Rhetorischen Wortspiels.

„Die überwiegende Mehrheit der demonstrierenden Menschen haben nicht versucht etwas zu stehlen, sie haben versucht, die Gerechtigkeit zurückzugewinnen, die sie uns gestohlen haben.“

 

 

Neben seinen kreativen Wortschöpfungen ist ein Mittel, dass schon seit Martin Luther Kings Zeiten die Reden großer Prediger schmückt.  Es ist dies  das  immer wieder sich wiederholende Wortmuster (genannt Anaphora) und Metaphern.

 

 

Lassen Sie mich für Sie drei herausragende Passagen herausgreifen und ihnen die Techniken dahinter sichtbar machen.

Die eine Technik, die sie gleich in eine Passage eingebaut erleben werden, besteht aus dem Erzählen einer sehr persönlichen Geschichte. Sobald sie geschichtenhaft ein kleines Detail aus ihrer Vergangenheit erzählen, wird es interessant. Noch interessanter wird es, wenn Sie kommunizieren, dass es Ihnen einmal nicht so gut ging. Menschen hören gerne Geschichten, wo Jemand durch Täler gegangen ist.

Sein zweiter brillanter Schachzug ist, dass er aus dieser erlebten geschichtlichen Gegebenheit eine Metapher konstruiert mit der er Elemente aus der Geschichte auf die heutige Situation bezieht.

Jetzt weiß ich, dass einige der reichen Hollywood-Leute hier nicht wissen, wie Kakerlaken aussehen, aber wir hatten Kakerlaken zu Hause, und eine Sache, die ich über Kakerlaken herausgefunden habe, ist, dass, wenn Sie das Licht löschen, wenn sie im Dunkeln sich in Sicherheit fühlen, hält eine Kakerlake an Ihrem Esstisch ein Fünf-Gänge-Menü ab. Also habe ich gelernt, dass eine der Möglichkeiten, mit Kakerlaken fertig zu werden, darin besteht, dass man das Licht auf die Kakerlaken richtet, und ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, Kakerlaken im ganzen Land zu jagen.

 

Seine kleine Geschichte, dass er in seiner Jugend mit Kakerlaken aufgewachsen ist  und sie dadurch vertreiben konnte, dass er das Licht auf sie gerichtet hat, überträgt er auf die heutige Situation  der Polizisten, die im Geheimen und unerkannt,  unmenschliches Verhalten zeigen, aber sobald man das Licht darauf richtet, verschwindet auch das Verhalten. Dass er gleichzeitig diese sich unmoralisch verhaltenden Polizisten mit Kakerlaken gleichsetzt, ist ein großartiger rhetorischer Schachzug.

 

Eine zweite wunderbare Passage ist, wo er ein Wort-Spiel mit der „Zeit“ und der „Stunde“ macht und dieses dann auf Heute überträgt.  Sie erkennen dort auch die "Anaphora", die Konstruktion, deren Kraft dadurch entsteht, dass man  mehrere Sätze lang eine immer wiederkehrende Formulierung einbaut.

 

Ja, die Zeit schreitet vorwärts. Und wenn Sie - Kongressabgeordnete Omar-, ihre Uhr nicht neu stellen, werden Sie zu spät kommen. Nicht weil Ihre Uhr falsch ging, sondern weil eine andere Stunde geschlagen hat. Nun, ich komme, um Ihnen zu sagen, dass Sie in Washington sitzen und über die Militarisierung des Landes sprechen und denken, dass Sie heisse-Luft-Versprechungen machen können. Wir haben genug vom Missbrauch. Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, dass Sie ruhig ins Fernsehen gehen können, aber Sie sind in der falschen Zeit. Die Zeit ist vorbei, Polizisten nicht zur Rechenschaft zu ziehen. Die Zeit ist vorbei uns nur hinzuhalten. Die Zeit ist vorbei, für leere Worte und leere Versprechen. Die Zeit ist vorbei, dass Sie uns unterdrücken und versuchen, den Arm der Justiz zu lähmen. Es ist die Zeit gekommen, in der wir nicht mehr aufhören werden. Wir werden weitermachen, bis wir das gesamte Justizsystem verändert haben.

"Die Zeit ist vorbei...", "die Zeit ist vorbei...", "die Zeit ist vorbei...".  Das ist eine Technik, die auch Barack Obama benutzte, als er  immer wieder die Formulierung "yes we can" in seiner Reden eingeflochten hat.

 

Und hier jetzt seine größten Meisterleistung, mit der er wohl in der Zukunft am meisten zitiert werden wird. Er hat eine Kombination von Geschichte, Metapher und Anaphora  zu einer edlen Passage zusammengefügt.

Er beginnt mit der Geschichte, wo er den Ort des Verbrechens besuchte.  Dann nimmt er die Tatsache, wie George Floyd umgekommen ist für ein metaphorisches Bild, um die ganze  Misere der Schwarzen in Amerika deutlich zu machen. Natürlich, wie sich das für einen Motivational-Speaker gehört, bindet er im Anschluss sein Publikum mit einem aufrüttelnden Appell.

 

Als ich an dem Ort stand, wo George umgekommen war, kam mir der Gedanke, dass Georges Geschichte, die Geschichte der Schwarzen ist. 

Denn seit 401 Jahren war der Grund, weshalb wir nicht der sein konnten, der wir wollten und erträumten, dass sie Ihr Knie in unseren Nacken gedrückt haben. Wir waren nicht weniger schlau als die anderen, aber sie steckten uns in unterfinanzierte Schulen, und hatten Ihr Knie in unseren Nacken gedrückt.

Wir hätten Firmen leiten können statt uns auf der Straße herumzutreiben, aber Sie hatten Ihr Knie in unseren Nacken gedrückt.

Wir hatten kreative Fähigkeiten, wir waren in der Lage alles tun, was alle anderen auch tun konnten, aber wir konnten ihr Knie nicht von unserem Nacken bekommen.

Was mit Floyd passiert ist, passiert jeden Tag in diesem Land, in der Bildung, im Gesundheitswesen und in allen Bereichen des amerikanischen Lebens. Es ist Zeit für uns, in Georges Namen aufzustehen und zu sagen, dass sie ihr Knie von unserem Nacken  nehmen müssen.

Der Grund, warum wir auf der ganzen Welt protestieren, ist, dass es uns wie George geht, wir konnten nicht atmen, nicht weil etwas mit unserer Lunge nicht stimmte, sondern weil sie Ihr Knie nicht von unserem Nacken nehmen.

Wir wollen keine Gefälligkeiten, steht einfach auf und lasst uns das sein und tun, was wir können.